2015-01-06

Jeffrey L. Meikle (2014) Digital_Humanities. [Rezension] In: Design & Culture, Vol. 6 Nr. 3, S. 431-433. DOI: http://dx.doi.org/10.2752/175470814X14105156869746

In der Novemberausgabe (2014) der Zeitschrift Design & Culture rezensiert der Kulturwissenschaftler Jeffrey L. Meikle mit per Erscheinungsdatum ziemlich exakt zwei Jahren Abstand den Sammelband Digital_Humanities (herausgegeben von Anne Burdick, Johanna Drucker, Peter Lunenfeld, Todd Pressner und Jeffrey Schnapp, Cambridge: MIT Press, 2012). Diese Lücke erweist sich als relevant, da sich das Feld der Digital Humanities und der Diskurs dazu derart rasant entwickeln und verändern, dass Monographien vermutlich von vornherein mehr als Zeitdokumente denn als Gegenwartsabbildungen zu lesen sind. Dies relativiert die von Meikle herausgestellten Defizite des Sammelbandes ein wenig. Vieles darin dürfte naturgemäß nicht mehr der Forschungsfront der DH entsprechen.

Dennoch kann man ein paar Aspekte notieren, die insgesamt recht typisch für die Debatte sind. Zentral, auch in der Kritik Meikles, ist die Fassung der Digital Humanities als Utopie mit den Vorvätern Mashall McLuhan, Buckminster Fuller, Robert Theobald und Pierre Theilhard de Chardin. So vermerkt der Rezensent:

„The shift away from verbal understanding toward visual and spatial means of representing and mapping information in digital humanities recalls Fuller’s plan for imagining complex demographic and resource data as shifting patterns on a computerized model of the globe.“

Die medien- und informationstheoretischen Entwürfe der 1960er, in denen Fuller und Theobald zum Beispiel den Übergang von der Informationsknappheit zu einem allgegenwärtigen Informationsüberfluss prognostizierten, grundieren die Frühphase der Vorstellungen dessen, was Digital Humanities notwendig werden lässt. Dazu treten digitalkulturelle Phänomene wie die so genannte Remix-Kultur („a large-scale conceptual extrapolation from McLuhan’s „mosaic mesh““) mit einer Verlagerung von der Informationserzeugung zur Kuration und zum Informationsdesign. Es geht darum, Information nun als Material zu verstehen und – mehr und mehr kollaborativ – je nach notwendig aufzubereiten. Der wachsende Anspruch an die Nachnutzbarkeit von bereits erhobenen Forschungsdaten erscheint daher nur folgerichtig.

Das Hauptproblem diesen frühen DH-Verständnisses identifiziert Meikle nachvollziehbar darin, dass die visionären Skizzen und extrapolierte Vorhersagen zu sehr als fast unhinterfragbares Leitbild der Gegenwart verhandelt wurden:

„[T]he authors adopt an unfortunate subterfuge from the operating manual of mid-twentieth-century futurists: describing the future as if it already exists.“

Sein zweiter Kritikpunkt ist passenderweise, dass die im Buch präsentierten Anwendungsfälle für Digital Humanities in dieser Richtung nicht überzeugen. Alle fünf Fälle seien selbst noch nicht so weit entwicklt, dass sie zielführend evaluierbar wären. Daher zeigen sie zumindest dem Rezensenten (bzw. „traditionalist readers“) weder einleuchtend wie leistungsfähig die DH-Anwendungen sind, noch warum der Schritt in diese Richtung unvermeidlich ist.

Heute ist das Feld ein wenig gereifter und scheint sich in dieser Reifung mehr und mehr von den visionären Impulsen hin zu tatsächlicher und sinnvoller Realisierbarkeit zu emanzipieren. (vgl. auch mein gestriges Posting: Wohin strebt die Disziplin der “Digital Humanities”? Zu einem Artikel in der FAZ.) Was aber keinesfalls bedeutet, dass der medien- und informationsutopische Ursprung nicht notwendig war. Schließlich sind Kollaborativität, Remixability, Nachnutzung, Kuration und Design ja heute stabile Elemente der unter dem Label Digital Humanities angestoßenen Entwicklungen in den Geisteswissenschaften. Die Herausforderung liegt mittlerweile aber nicht mehr darin, zu betonen, wie wichtig sie konzeptionell sind. Sondern wie sie sich in konkrete Anwendungen überführen lassen.

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